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Das System Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Für Menschen mit Behinderung sollten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen das Sprungbrett in die allgemeine Arbeitswelt sein. Jedoch belegen die Zahlen eine andere Realität. Wie muss sich das Werkstatt-System verändern, um echte Entwicklungs- und Zukunfts-Chancen zu gewährleisten?

Ein älterer und ein jüngerer Menschen lachen zusammen. Der jüngere Mann trägt ein rotes T-Shirt und eine rote Kopfbedeckung. | © Nathan Anderson / unsplash

Werkstätten für Menschen mit Behinderungen ermöglichen berufliche Integration. (Nathan Anderson / unsplash)

Die ersten Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) wurden in den 60er Jahren gegründet. Das Ziel: Menschen mit Behinderung den Weg ins Berufsleben zu ermöglichen und sie mit Hilfe von Berufspraxis und passenden Qualifikationen auf den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. 

Vergabeverfahren und Ausbildungsverlauf in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung

Das Vergabeverfahren

Am Anfang steht ein sogenanntes Eingangsverfahren (EV) an. Dies ist gesetzlich geregelt. Hier können sich Bewerber*innen einen ersten Überblick über die Werkstatt für Menschen mit Behinderung verschaffen. Ferner kann auch die Einrichtung prüfen, ob dies der richtige Ort für diesen Menschen ist und in welchem Bereich die persönlichen Fähigkeiten am besten einzusetzen sind. 

Das EV dauert in der Regel zwischen vier und 12 Wochen. In dieser Zeit werden ferner die Ziele und Förderungsprogramme entsprechend festgesetzt und ein Eingliederungsplan erstellt.

Der Ausbildungsverlauf im Berufsbildungsbereich

Die Ausbildung in einer Behindertenwerkstatt wird anschließend als Berufsbildungsbereich (BBB) definiert, der sich in einen Grund- und Aufbaukurs aufteilt. Nach dem ersten Jahr prüfen die Agentur für Arbeit und das Sozialamt, ob eine Weiterbeschäftigung der Lehrlinge in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung sinnvoll ist und das zweite Jahr im Aufbaukurs angetreten werden darf. 

Je nach Möglichkeiten können in den Werkstätten verschiedene Tätigkeitsbereiche durchlaufen und damit unterschiedliche Qualifizierungen erreicht werden. Neben beruflichen Fähigkeiten werden den Menschen mit Behinderungen innerhalb des BBB auch soziale und alltagspraktische Kompetenzen vermittelt.

Anschließend wechselt ein*e Werkstattmitarbeitende*r in den Arbeitsbereich. Die Zeit in diesem Arbeitsbereich ist wiederum unbefristet. Ziel ist jedoch nach wie vor die (Wieder-)Eingliederung ins Berufsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dementsprechend bestimmen den Arbeitsbereich Produktionsaufträge und die Erbringung von Dienstleistungen. Aber auch Betriebspraktika und Beschäftigungen in externen Betrieben für eine gewisse Zeit gehören zum Berufsalltag in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Wie sieht es in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung 2022 aus?

Neueste Erhebungen aus dem Jahresbericht 2021 der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen zeigen folgendes Bild: In rund 700 Hauptwerkstätten an 2.850 Standorten arbeiten über 320.000 Werkstattbeschäftigte und 70.000 Fachkräfte.

Von den 320.000 Mitarbeitenden mit Behinderung arbeiten:

  • 270.000 im Arbeitsbereich
  • 30.000 im Berufsbildungsbereich
  • 20.000 im Förderbereich

Davon haben 75 Prozent eine geistige, 21 Prozent eine psychische und 4 Prozent eine körperliche Behinderung. Mehr als 30 Prozent von den Mitarbeitenden sind über 50 Jahre alt.

Ein Balkendiagramm zeigt die unterschiedlichen Behinderungsformen und ihre Häufigkeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. | © EnableMe

Überwiegend Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (Grafik: EnableMe).

Werkstattbeschäftigte arbeiten nach einem Beschäftigungsverhältnis. Das heißt, sie verfügen über keinen Arbeits- oder Tarifvertrag. Damit sind sie rechtlich gesehen auch keine Arbeitnehmer*innen und bekommen ein Arbeitsentgelt sowie ein Arbeitsbeförderungsgeld und weitere existenzsichernde Sozialleistungen. Der derzeit durchschnittliche Lohn eines Werkstatt-Mitarbeitenden liegt bei circa 1,35 Euro brutto die Stunde
Der Lohn orientiert sich dabei auch stark am Arbeitsergebnis. Das heißt, je besser die Auftragslage und Produktion ist, desto besser werden die Beschäftigten mit Behinderung bezahlt.

Auch das 2018 eingeführte Budget für Arbeit, dass innerhalb des Persönlichen Budgets beantragt werden kann, konnte die Übergangsquote von einer Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt nicht steigern. Sie liegt nach wie vor, je nach Quelle, zwischen 0,6 und einem Prozent.

Seit gut zwei Jahren steht das System WfbM medial immer stärker in der Kritik. Von Ausbeutung ist die Rede sowie fehlender Motivation seitens der Werkstatt-Betreibenden, Beschäftigte mit Behinderung entsprechend zu fördern und zu qualifizieren.

Das System hinter den Werkstätten

Neben ihrer gesetzlichen Hauptaufgabe, Menschen mit Behinderung fit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen, müssen Werkstätten für Menschen mit Behinderung wirtschaftlich profitabel arbeiten. Dies kann zu einem großen Widerspruch zu ihrer eigentlichen Hauptaufgabe führen. Denn  Zudem finanzieren sich Werkstätten auch über die Aufträge von Unternehmen, öffentlicher Hand und weiteren Kostenträgern, wie zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit, Trägern der Eingliederungshilfe und Unfallversicherungen

Ein weiterer Punkt für die niedrige Übergangsquote kann das System der Ausgleichsabgabe sein. Diese muss von privaten und öffentlichen Unternehmen gezahlt werden, sofern sie die 5 Prozent Quote nicht erfüllen. Diese können sie senken, indem sie Aufträge an WfbMs vergeben. Dadurch kann die Motivation seitens der*die Arbeitgeber*innen sinken, inklusive Arbeitsplätze zu schaffen. 

Darüber hinaus sind auch die Außenarbeitsplätze kritisch zu betrachten: Hierbei werden Werkstatt-Beschäftigte mit Behinderung an Unternehmen ausgeliehen. Die jeweiligen Mitarbeitenden mit Behinderung sind in diesem Fall im Unternehmen nicht festangestellt – können jedoch von den Unternehmen auf die Behindertenquote angerechnet werden. Im Zusammenspiel mit vergebenen Aufträgen an die Werkstätten kann die Ausgleichsabgabe gesenkt werden. Auf Seiten der Werkstätten werden die Löhne für die Außenarbeitsplätze weiterhin von der öffentlichen Hand und weiteren Kostenträgern übernommen. Im Schluss bedeutet dies: Die Mitarbeitenden werden weiterhin von den Werkstätten über das Arbeitsentgeld gezahlt.

Jeder Mensch hat die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die frei gewählt oder frei angenommen wurde.
Artikel 27, UN-Behindertenkonvention

Dieses „Dreiecksverhältnis“ besteht oft über mehrere Jahre, ohne das sich daraus für den jeweiligen Mitarbeitenden mit Behinderung ein festes Angestelltenverhältnis entwickelt. Sie arbeiten zwar auf dem ersten Arbeitsmarkt, bleiben aber in der Situation stecken, nicht vollständig selbstbestimmt, ihre Arbeit und damit verbunden ihr Leben gestalten zu können.

Eine Übersicht zeigt, wie das Werkstatt-System mit Hilfe von Staat, Wirtschaft und Kostenträgern operiert. | © EnableMe Am System Werkstatt für Menschen mit Behinderung sind viele Institutionen sowie die Wirtschaft beteiligt. (EnableMe)

Die Geschichten von Beschäftigten mit Behinderungen mehren sich, dass sie mit der eigenen Arbeit und den Umgang innerhalb der WfbM nicht zufrieden sind. Sie wollen auf den ersten Arbeitsmarkt und auch in diesem Sinne gefördert werden.

Wie muss sich das System verändern?

In einem Beitrag „Zur Weiterentwicklung von Werkstätten für behinderte Menschen unter Inklusionsanspruch“ hielten Bastian Fischer und Professor Dr. Thomas Gericke bereits 2016 fest, dass eine persönliche Weiterentwicklung unter dem Inklusionsanspruch folgenden Prinzipien folgen muss:

  1. Einbezug der Werkstatt-Beschäftigten durch eine aktive und wertschätzende Teilnahme.
  2. Wünsche und Ziele individuell festhalten und handlungsorientiert umsetzen.
  3. Aktuelle Fähigkeiten und Kenntnisse festalten und Lern- sowie Bildungsangebote anbieten, die weitere benötigte Qualifikationen für den ersten Arbeitsmarkt fördern.
  4. Der Fokus sollte dabei stets auf die Fähigkeiten, Interessen sowie persönlichen und sozialen Ressourcen des Mitarbeitenden liegen.
  5. Hilfe und Begleitung während der Zukunftsplanung und darüber hinaus durch einen Unterstützendenkreis.
  6. Unterstützung innerhalb des Sozialraums durch Peers, relevante Akteure und unterstützende Institutionen.

Die bestehende Intransparenz innerhalb des Werkstätten-Systems müsste aufgehoben werden; Werkstätten stärker zusammenarbeiten, um Unterstützungskonzepte verbessern zu können. 

Und dann wäre da noch der Mindestlohn von 12 Euro die Stunde, der im Oktober 2022 eingeführt wurde. Diesen fordern mittlerweile viele Mitarbeitende mit Behinderung, die in einer WfbM angestellt sind. 

Letztlich sollten sich Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu einer starken inklusiven Ausrichtung entwickeln. Damit Menschen mit Behinderung die Förderung erhalten, die sie brauchen, um auf dem ersten Arbeitsmarkt selbstverständlich integriert zu sein.


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