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Förderung und Eingliederung von Menschen mit Behinderung

Die Integration oder Re-Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist nach wie vor ein starkes Bestreben politischer Handlung. Dabei geht es um Tätigkeiten in geschützten Beschäftigungsstätten, vor allem aber auch im offenen Arbeitsmarkt. Das israelische Unternehmen „Call Yachol“ geht sogar noch einen Schritt weiter: Das Call Center beschäftigt praktisch ausschließlich Menschen mit Behinderungen.

Eine Frau sitzt mit Headphone am Laptop | © Tima Miroshnichenko / pexels

In vielen Unternehmen arbeiten Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen. (Tima Miroshnichenko / pexels)

In der westlichen Gesellschaft bedeutet Arbeit heute weit mehr als reiner Broterwerb. Arbeit ist für breite Schichten der Gesellschaft eine Möglichkeit zur Verwirklichung ihrer selbst – und wird mehr und mehr zu einem sozialen Ort, der Menschen zusammenbringt, um gemeinsam etwas zu vollbringen. So schreibt es zumindest die Zeit, die zusammen mit dem infas Institut 1.000 Menschen quer durch alle Berufsgruppen in Bezug auf ihren Arbeitsplatz befragten. 

Teilnahme am sozialen Arbeitsleben

Der aktuelle Inklusionsbarometer der Aktion Mensch in Kooperation mit dem Handelsblatt Research Institute zeigt eine Trendwende für das Jahr 2020. Laut der Studie sind 173.709 Menschen mit einer Behinderung ohne Arbeit. 13 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Der Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedeutet damit für sie noch stärkere Einschränkungen in Bezug auf die soziale Teilhabe. Zusätzlich fällt auch die Anerkennung weg, als vollständiges sowie vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.

Betroffene wollen ihre Leistungsbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis stellen und schließlich über das Gehalt für ihre Arbeit zumindest eine teilweise ökonomische Selbstständigkeit erreichen.

Chancen durch die Digitalisierung

Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren Millionen von Arbeitsplätze revolutioniert, aber auch Millionen wegrationalisiert. Für Arbeitnehmer*innen ohne Behinderung haben sich die Berufsbilder stark verändert, für Menschen mit Behinderung kann der technische Wandel insofern Vorteile ermöglichen, als neue Arbeitsfelder, neue Berufe und neue Erwerbsmöglichkeiten entstanden sind. 

So haben diverse Technologien zu Berufs- und Kommunikationsformen geführt, die unabhängig von Zeit und Ort erledigt, aber auch generell mit einer Behinderung ausgeführt werden können. Dazu gehört zum Beispiel die Arbeit in einem Call Center. Die Branche ist in den letzten Jahren stark gewachsen und sieht sich heute mit einem Mangel an qualifiziertem Fachpersonal konfrontiert.

Wegweisende Geschäftsidee

Im Call Center Bereich engagiert sich der israelische EnableMe-Partner „Call Yachol“ seit rund 15 Jahren für die Integration sowie Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Das Unternehmen beschäftigt seit 2018 etwa 230 Mitarbeitende mit körperlichen, psychischen und Sinnes-beeinträchtigten Behinderungen. 

Im Gespräch mit dem Gründer Gil Winch

Gil Winch ist Organisationsberater und Inhaber eines Ph. D. in Psychologie an der Universität von Tel Aviv. Seit 2020 hält er als Speaker auch regelmäßig TED Talks. EnableMe hat sich mit ihm über das Unternehmen und die wegweisende Geschäftsidee unterhalten.

Dr. Winch, was bedeutet der Firmenname „Call Yachol“?

„Call Yachol“ besitzt im Hebräischen zwei Bedeutungen: Einerseits drückt es die Fähigkeit aus, telefonieren zu können – also „to call“ – und andererseits vermittelt es den Glauben daran, alles zu können.

Wie kam es dazu, dass das Gründungskonzept bei „Call Yachol“ vorsieht, viele Mitarbeitende mit Behinderungen zu beschäftigen?

Als jemand, der in der israelischen Armee diente und im Krieg verletzt wurde, sind mir Behinderungen und das Thema Tod nicht fremd. Freunde und Bekannte von mir sind im Krieg verletzt oder getötet worden. Aus diesem Grund trat ich vor einigen Jahren der Organisation „Access Israel“ bei. Ich wollte helfen und musste gleichzeitig verstehen, dass 80 Prozent der körperlich Behinderten in Israel eine Arbeit suchen. Als Organisationsberater weiß ich, dass Call Center loyale und qualifizierte Mitarbeiter, die für längere Zeit angestellt bleiben, suchen.  

In meiner Position als Berater, Psychologe und Sonderpädagoge, der enge Beziehungen zu Regierungsträgern besitzt, fand ich mich in einer Position wieder, in der ich tatsächlich etwas ändern kann, in der ich Dinge miteinander verbinden kann.  

Wenn man ein Alter erreicht, in dem man in der Lage ist, etwas für die Gesellschaft zu tun, darf man dies nicht einfach ignorieren.

Welche Dienste bietet „Call Yachol“ seinen Kunden an?

„Call Yachol“ bietet den Kunden Outsourcing-Dienste, in denen es schwierig ist, Mitarbeiter für längere Zeit an den Betrieb zu binden, wie es zum Beispiel bei Call Center der Fall ist. Darüber hinaus bieten wir den Kunden eine Mitarbeitersuche, welche an die Mitarbeiter angepasst ist, eine Anpassung an das Einarbeitungs-Programm des Kunden für seine Mitarbeiter mit körperlicher Behinderung, eine Einführung in das typische Umfeld des Arbeitgebers, sowie eine Anpassung der gesamten Ausstattung am Arbeitsplatz – je nach körperlicher Behinderung. 

Welche Hauptvorteile haben sowohl Ihre Angestellte als auch Ihre Kund*innen?

„Call Yachol“ bietet den Mitarbeitern zwei wesentliche Vorteile: Zum einen soll zwischen dem Management und dem Mitarbeiter ein besonderes Verhältnis entstehen, das Wärme und Spaß an der Arbeit vermittelt. Wir versuchen, den angenehmsten Arbeitsplatz im Nahen Osten aufzubauen. 

Dabei sind wir immer bemüht, Spaß an der Arbeit mit einzubeziehen. Sobald ein Mitarbeiter bei „Call Yachol“ eingestellt wird, unternehmen wir alles, damit er bei seiner Arbeit erfolgreich sein wird, selbst wenn es mehr Zeit in Anspruch nehmen könnte. 

Unsere Kunden haben den Vorteil, bessere und loyale Mitarbeiter zum gleichen Budget zu erhalten und gleichzeitig einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.

Wie viele Stunden pro Woche arbeiten die Angestellten?

Zwischen 20 Stunden pro Woche bis hin zu einer Vollzeitstelle.

Was können Sie uns über die Jobanforderungen sagen?

Die Arbeitsplätze bei „Call Yachol“ teilen sich in Verkauf und Dienstleistung auf. Die Arbeitsbedingungen im Dienstleistungssektor sind kompliziert, da wir Mobilfunkanbietern unsere Dienste für unterschiedliche Bereiche anbieten: wie beispielsweise für Programme, Geräte usw. 

Dies alles kann sich schnell ändern. Der Einarbeitungskurs dauert zwei Monate und ist relativ kompliziert. Wenn wir einen Mitarbeiter suchen, prüfen wir sowohl seine kognitiven Fähigkeiten als auch seine Fähigkeit, unter Stress arbeiten zu können. Daher nehmen wir nur einen von insgesamt sechs Bewerbern an. 

Was sind die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Mitarbeitenden?

Unser Management-Team arbeitet sehr hart, da wir fordern, dass das Verhältnis zwischen dem Management und den Mitarbeitenden einem Eltern-Kind-Verhältnis gleichkommt. Das Management ist nicht nur für die Ergebnisse und Ziele des Mitarbeiters verantwortlich, sondern auch für sein Wohlbefinden innerhalb des Betriebs. 

Wir glauben, dass ein glücklicher Mitarbeiter ein guter Mitarbeiter ist und es ist die Aufgabe des Managements, darauf als Erstes zu achten. Über die allgemeinen Aufgaben des Managements hinaus erwarten wir auch die Ausführung einer Elternfunktion, was in einem Teil der Ausbildung, die sie von uns erhalten, verankert ist. 

Wie werden die genau Mitarbeitenden ausgebildet?

Der Einarbeitungskurs ist ziemlich lang. Er dauert 2 Monate, 7 Stunden täglich. Nach diesem Kurs befindet sich das Management jederzeit vor Ort und steht den Mitarbeitenden auch während der Arbeitszeit zur Seite. Bei uns sind mehr Manager als in anderen Call Centers eingestellt, damit den Mitarbeitern eine größere Beachtung geschenkt wird und das Management eine größere Präsenz besitzt.  

Darüber hinaus gibt es eine Organisationsberatungsfirma, die den Mitarbeitern und vor allem dem Management direkt dabei hilft, den Mitarbeitern behilflich zu sein und sich ihrer anzunehmen. Wir geben unseren Mitarbeitenden die Zeit, die sie brauchen. Wir sind bereits zufrieden, wenn wir nur eine kleine Besserung von Tag zu Tag oder von Woche zu Woche sehen. 

Wie sind die Reaktionen in Israel in Bezug auf Ihr Geschäftsmodell?

Die Reaktionen fallen sehr positiv aus. Wir haben so viele potenzielle Kunden, dass wir keine Vermarktungsfunktion benötigen. Die Vereine, mit denen wir arbeiten, sind mit uns sehr zufrieden, dies gilt auch für die Regierungsbüros und die relevanten Ministerien. 

Alle bestätigen und ermutigen uns in unserem Tun. Sobald aber von den Beamten der Regierungsbüros die Rede ist, treffen wir auf keine Sympathie, wir gehen ihnen sogar auf die Nerven. Denn 85 Prozent unserer Mitarbeiter waren arbeitslos, die Regierungsbürokratie hatte in der Arbeitsvermittlung dieser Personen keinen Erfolg. Wir sind dort erfolgreich, wo sie versagten.

Erhalten Sie Unterstützung von anderen Unternehmen, Organisationen oder der Regierung?

Wir erhalten viel Ermutigung, Vorschläge und Unterstützungsangebote. So hinterließ uns zum Beispiel eine Firma, die ein Call Center verließ, ihre gesamte Ausrüstung, die sie nicht mehr benötigte. Ein Kunde erlaubt unseren Mitarbeitenden, seinen Transport mit zu benutzen. Ein anderer Kunde schickt unsere Mitarbeiter auf seine Kosten zu Ausflügen und Theateraufführungen, usw. 

Wenn aber von der Regierung die Rede ist, sind uns die Minister und Geschäftsführer positiv gestimmt, die Beamten aber, wie bereits erwähnt, nicht. Da „Call Yachol“ ein gewerbliches Unternehmen ist und in Israel keine ähnliche Organisation besteht, gibt es auch kein Regierungsbüro, das für unsere finanzielle Unterstützung zuständig ist. Solch ein Verfahren gibt es nicht. 

Nur NGOs können finanzielle Unterstützung von der Regierung erhalten, nicht aber gewerbliche Unternehmen wie wir. Deswegen haben wir keine Finanzierung von der Regierung bekommen, obwohl wir der größte Arbeitgeber für Personen mit Behinderungen in Israel sind.

Was ist Ihre Vision für „Call Yachol“?

Das Ziel von „Call Yachol“ ist, dass 10 Prozent aller Mitarbeitenden der Call Center in Europa, den USA und dem Rest der Welt, Mitarbeitende mit körperlichen Behinderungen sein werden. Wir möchten in Europa, Nordamerika und in den USA Filialen öffnen. 

Unsere Vision ist die Beschäftigung tausender Personen mit körperlichen Behinderungen in ganz Israel, eine technologische Entwicklung, die Personen mit schweren körperlichen Behinderungen ermöglicht, zu Hause zu arbeiten, und die Förderung weiterer Bereiche, in denen die Beschäftigung von Personen mit Behinderungen vorteilhaft ist. 

In der Stiftung EnableMe sehen wir einen Partner für unsere Ziele und wünschen uns, mit ihr zusammen unsere Verbreitung in Europa zu verwirklichen.


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