Frage zur Vergabe des Merkmales H im Schwerbehindertenausweis

Hallo.
Ich habe folgendes Anliegen:
Mein Sohn ist an einer äußerst seltenen Krankheit ( HSP und davon die komplizierte Unterform SPG 11) erkrankt (molekulargenetisch durch das Humangenetische Institut der Uniklinik Köln gesichert).
Das hat zur Folge, dass er beginnend mit ca. 17 Jahren eine spastische Gangstörung entwickelte, die sich nach und nach verschlechtert und unausweichlich irgendwann in den Rollstuhl führt.
Er ist jetzt 23 Jahre alt.
Aktuell beträgt seine Gehstrecke noch ca. 500 m.

Parallel dazu kommen weitere Probleme hinzu, ich schreibe einfach mal auf, was im letzten Arztbericht steht:
Tetraspastik, Paraparese, cerebelläre Mitbeteiligung ( Dysarthrie, Ataxie), kognitive Einschränkungen, dünner Corpus callosum im cMRT. SAkkadierte Bllickfolge mit unerschöpflichem Endstellnystagmus bds. verlangsamte hoizontale und vertikale Sakkaden. Kombinierte cerebelläre und pseudobulbäre Dysarthrie. An der oberen Extremität lebhafte Muskeleigenreflexe, Pronatorenspastik rechts, links keine Tonuserhöhung. Keine Anzeichen für Rigor, Dysdiadochokinese odr Bradykinese. An der unteren Extremität pathologisch gesteigerte Muskeleigenreflexe. Kloiformer ASR, Zeichen nach Babinski bds. positiv, Hüftadduktorenspastik 2/4, Knieextensorenspastik 2/4, Hüftabduktionsparese 4+/5, keine Fußhebeparese.
Nichtfixierte Spitzfußkontraktur. Muskelatrophie im Bereich der Waden, Spastisch-ataktisches Gangbild mit Stabilisierung durch vermehrte Armbewegungen. Zentraler Fallfuß bds. bei sehr starkem Oberkörper. Pallästhesie 7 /8 bimalleolär.

Die kognitiven Einschränkungen waren von Geburt an vorhanden, er hat auch zunächst eine Schule für sprachbehindete Kinder besucht, später eine Regelschule und dort sogar einmal ursprünglich mit viel, viel, viel Lernen mit mir als Mutter zu Hause (und damit meine ich 3 - 4 Stunden TÄGLICH, auch am Wochenende und in den Ferien und immer mit mir zusammen!) den Realschulabschluß mit Ach und Krach geschafft.
Ab ca. dem 16./17. Lebensjahr verschlechterten sich aber auch diese kognitiven Leistungen immer weiter.
Die Ausbildung musste abgebrochen werden, über das Arbeitsamt kam er dann ins Berufsbildungswerk Volmarstein, in dem er zunächst eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolvieren sollte, im Laufe der Ausbildung verschlechterte sich aber die kognitive Leistungsfähigkeit soweit, dass er die schulischen Leistungen nicht mehr erbringen konnte, so wurde er herabgestuft in eine Ausbildung zum "Bürohelfer", eine reduzierte Ausbildung.

Damit ist er inzwischen fertig, die Arbeitssuche gestaltet sich aber sehr schwierig, im Moment ist er arbeitslos.

Im Alltag benötigt er immer mehr Hilfe, er ist nicht mehr in der Lage, seinen Alltag selber einigermaßen strukturiert zu gestalten.

Die kognitiven Einschränkungen machen sich vor allem bemerkbar im normalen „Alltagsablauf“: Er kann seinen Alltag nicht mehr alleine regeln, das beginnt bei vielen Kleinigkeiten:

Immer wieder kommt es im Laufe des Tages zu „Fehlplanungen“ ( ich weiß nicht, wie ich das sonst ausdrücken soll).

Alles ist gut, solange man ihm sehr, sehr kleinschrittige Arbeitsanweisungen gibt.

Als Beispiel:
Ihm zu sagen, er solle bitte sein Zimmer aufräumen, so wie man es einem 23jährigen sonst auch sagen würde, hat einfach keinen Sinn.
Er steht dann in seinem Zimmer und weiß überhaupt nicht, wo er anfangen soll.
Dinge werden dann vom Bett auf’s Sofa und wieder zurück geräumt, vom Schreibtisch auf die Fensterbank u.s.w.
Diese Anweisung muss unterteilt werden in ganz kleine Schritte:
Sammle alle deine Schmutzwäsche zusammen und bringe sie in den Wäschekorb
Sammle allen Müll zusammen und bring ihn raus.
Sammle alles Leergut zusammen und bringe es in die Küche
Räume die saubere Wäsche in den Schrank.. u.s.w.
Wobei es dann beim 4. Punkt schon schwierig wird:
Bei den ersten drei Punkten ist eindeutig klar, WO die Schmutzwäsche, das Leergut oder der Müll hin muss, dafür gibt es ja feste Orte in unserem Haushalt ( sofern ihm die dann nicht gerade im Moment nicht einfallen, das kann auch passieren).
Wäsche in den Schrank räumen dagegen erfordert gewisse eigene Entscheidungen – WO in diesem großen Schrank lege ich denn nun WAS hin?
T-Shirts zu T-Shirts oder Pullis zu Pullis und Hosen zu den Hosen auf den Bügeln – das scheint manches Mal schon schwierig zu sein und so wird oft nach Kleidungsstücken gesucht, die angeblich weg sind (woran immer irgendwer Schuld ist!!) – aber in Wirklichkeit nur an den komischsten Stellen im Schrank liegen.

Ein weiteres Problem ist sehr oft, dass er Handlungen irgendwie im Ablauf nicht richtig plant:
So zieht er sich zum Beispiel morgens oft erst an, bevor er zum Duschen ins Bad geht.
Darauf angesprochen, antwortet er dann relativ barsch, dass er sich dann eben wieder auszieht, das sei doch nicht so schlimm.

Oder er zieht sich erst die Jeans an und dann möchte er die Unterhose anziehen….

Insgesamt ist es sehr, sehr schwierig, ihm den Umgang mit diesen „Schwächen“ nahezubringen, er möchte das nicht zugeben und jegliche Hilfe, die er in Anspruch nehmen würde, käme ja einem Zugeben der Notwendigkeit gleich.
Er wird vollkommen ungehalten, wütend und aufbrausend, wenn man in diese Richtung versucht, mit ihm zu reden.

Ich habe z.B. versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er z.B. für seine morgenlichen Verrichtungen einen Plan erstellt ( wobei ich ihm ja behilflich sein könnte und auch einiges schon am Abend vorher erledigt werden könnte), so dass die Abläufe flüssiger und nicht jeder Morgen derart konfus abläuft.
Beispiele?:
Er weiß, dass er gleich seinen Schwerbehindertenausweis mitnehmen muss.
Das fällt ihm ein, daher legt er ihn auch schon heraus- und nimmt ihn mit ins Bad.
Nach dem Duschen sucht er ihn in seinem Zimmer, findet ihn natürlich nicht und gerät in helle Aufregugung, weil er ja gleich weg muss.
Natürlich hat er ihn nicht mit ins Bad genommen, da hat jemand anders ihn hingelegt.

Die Frage, was er anziehen soll, kann sehr langwierig werden – Entscheidungen für oder gegen etwas sind oft sehr schwierig, manchmal stimmt auch die Zusammensetzung irgendwie nicht- so hat er 2 Jacken, aber keinen Pulli herausgesucht.

In der Art könnte ich zig Beispiele nennen.

Das Problem ist auch, dass er, wenn er dann unter Zeitdruck gerät, überhaupt nicht mehr zurechtkommt, unter Zeitdruck kann er überhaupt kein bisschen mehr denken.

Überhaupt nicht mehr klar kommt er auch mit Situationen, in denen er irgendwelche einmal begonnenen Abläufe ändern müsste:
Kommt er am Morgen ins Bad und unter der Dusche steht schon einer der Brüder, kann er nicht „umschalten“ und zuerst frühstücken gehen und danach duschen – er sitzt dann in seinem Zimmer und wartet, bis er duschen kann –
und wird – gelinde ausgedrückt- ziemlich ungehalten seinen Brüdern gegenüber, dass sie seine Pläne durchkreuzen, obwohl die von diesen Plänen gar nichts wissen.

Und hier eingeschoben:
Insgesamt sind seine „sozialen“ Reaktionen sehr häufig vollkommen unangemessen.
Er reagiert häufig viel, viel zu heftig, wird übermäßig wütend, kann sich überhaupt nicht mehr in andere Leute hineinversetzen, sagt Dinge, die „man einfach nicht sagt“, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass dies verletzend ist.
(Beispiel: Sagt seiner Freundin, nachdem er sie 2 Wochen nicht gesehen hat, sofort als Begrüßung: „Mensch, du hast aber einen dicken Bauch bekommen, da müssen wir aber sofort mal was dran tun.“
Auf solche Äußerungen angesprochen antwortet er dann, dass dies aber doch die Wahrheit sei, ob er denn lügen solle?)

Man hat das Gefühl, dass er kein gutes Gespür mehr dafür hat, was sich im sozialen Umgang gehört und was nicht.


Insgesamt sehr gestört sind alle Handlungen, bei denen man vorausschauend planen muss und ganz besonders auch, wenn man dann evt. auch noch spontan reagieren und etwas ändern müsste – oder auch, wenn man ihn während er etwas tut, anspricht.
Er ist kaum in der Lage, dann zu reagieren:
Entweder, er konzentriert sich auf das, was er gerade tut, dann hört er nicht, was man ihm sagt oder er reagiert, hat dann aber danach vollkommen vergessen, was er eigentlich gerade tat.


In irgendeiner Weise ist auch die Umsetzung von Sprache im Kopf irgendwie „beschädigt“, ich weiß nur nicht so richtig, wie ich das Ausdrücken soll.

Ich versuche, es an einem Beispiel zu erklären:

Ich stehe mit ihm in der Küche, wir kochen.
Ich bitte ihn, mir die Topflappen zu reichen.
Nun geht er völlig konfus hin und macht einen Schrank nach dem anderen auf, kann auch sein, dass der erste Schrank der Kühlschrank ist!
Ich sage: „Stopp, warte doch einmal. Überleg doch erst einmal: Was suchst du denn?“
Er antwortet: „ Weiß ich nicht.“
Ich: „Aber wie kannst du denn etwas suchen, wenn du gar nicht weißt, was du denn suchst?“
Er: „Weiß ich nicht.“
Ich lasse ihn dann, sonst gibt’s nur wieder Streit, er wird dann sehr ungehalten, weil ich ihn in seiner Tätigkeit unterbreche.
Irgendwie muss er halt seine eigene Strategie finden.

Er macht weiter jeden Schrank, jede Schublade auf, irgendwann halt auch die Schublade, in der die Topflappen liegen und:
In dem Moment weiß er auch wieder, WAS er gesucht hat und reicht sie mir.

Es scheint also so, als müsse er erst ein Bild vor Augen haben, bevor er das irgendwie „verknüpfen“ kann.


Das passt aber im Übrigen auch zu früher gemachten Erfahrungen:
Er hatte ja schon als Kleinkind Schwierigkeiten mit der Sprache, war auch zunächst auf einer Schule für sprachbehinderte Kinder.

Die ganze Schullaufbahn lang habe ich alles, was ich mit ihm übte, immer versucht, in irgendeiner Weise aufzumalen, in Bildern zu erklären, ihm in einem strukturierten Text mit farblich unterlegten Stellen zu präsentieren, nur so konnte er sich irgendwie etwas merken.

Seine K

Antworten

  • Bei einem Antrag auf einen Schwerbeindertenausweis mit einer Situationsdarstellung als Anlage in der gleichen Ausführungen wie hier, müsste theoretisch ein Merkzeichen "H" vergeben werden. Jedoch sind die gesundheitlichen Einschränkungen dennoch durch aktuelle Befundberichte zu belegen.

    Gruß
    rollispeedy
  • Gerade habe ich gesehen, dass mein Text oben in der Frage gekürzt wurde, daher hier noch der Rest 😀 :

    Was auch problematisch ist, ist, dass Norman Dinge, die andere „so am Rand“ mitbekommen, gar nicht mitbekommt.
    Wir können z.B. als Familie zusammen am Tisch sitzen und uns über etwas unterhalten, und es passiert, dass Norman nach etwas fragt, was gerade vorher „Thema“ am Tisch war.
    Und auch hier wieder: Vollkommen unangemessen heftige, emotionale Reaktionen, wenn die Brüder sagen, dass das doch gerade eben besprochen wurde.

    Ebenfalls nicht mehr „normal“ ist Normans Zeitgefühl:
    Die Uhrzeit 14 Uhr kann er noch zuordnen.
    Wenn wir aber gesagt haben, dass wir um 14.50 losfahren wollen, ist ihm nur klar, dass das „irgendwann“ nach 2 Uhr ist – er steht dann „pünktlich“ um 14 Uhr an der Haustüre und wartet dann halt.


    Insgesamt ist der Alltag so natürlich sehr, sehr anstrengend, ich sage das nicht als "Beschwerde", sondern nur einfach als Feststellung.
    Irgendjemand muss immer und jederzeit auf "hab-Acht-Stellung" stehen, seinen Alltag strukturieren, planen, koordinieren.

    Meine Frage zielt nun darauf ab, ob das Merkmal 'H' wirklich nur bei notwendiger "körperlicher" Hilfe (Toilettengang, waschen etc.) bewilligt wird oder auch bei der notwendigen Hilfe bei der ganz normalen Bewältigung des Alltags?

    Texte, die ich im Internet dazu finde, geben dazu sehr unterschiedliche Auskünfte.

    Anerkannt ist bei meinem Sohn im Moment ein GdB 90 und die Merkmale G und B.
    'H' wurde abgelehnt.

    Der Arztbericht aus der HSP-Ambulanz der Uniklinik Tübingen, den ich dem Antrag beigelegt hatte, ist selbstverständlich aktuell, er ist vom 01.03.2017.

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  • Hallo.
    Nein, wir haben noch keinen Widerspruch eingelegt, wollten uns erstmal erkundigen, ob es wohl überhaupt Sinn macht.

    Abgelehnt wurde 'H' mit folgender Begründung:
    Hilflos sind Menschen, die wegen ihrer Behinderung ständig auf fremde Hilfe angewiesen sind, um ihre persönliche Existenz und Pflege zu sichern. Diese fremde Hilfe muss täglich mindestens zwei Stunden notwendig sein, z.B. beim Waschen, beim An- und Auskleiden oder beim Essen und Trinken ( hier zählt nur der "Zeitaufwand Grundpflege").

    Diese Voraussetzungen erfüllen Sie nicht.

    Sorry, ist wieder länger geworden, aber ich wollte die Ablehnung zitieren.

    Daher rührt ja meine Frage, ob Hilfe im normalen Alltagsstrukturieren, - planen und koordinieren da tatsächlich keine Rolle spielt?
    Ständig auf fremde Hilfe angewiesen ist er ja, kann aber eben noch alleine Essen und sich pflegen.
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  • Ja, danke für den Hinweis - Widerspruchfrist steht im Kalender 😀

    Und der aktuelle Arztbericht lag ja bei - sagt das auch aus, was ich oben beschrieben habe - Störungen der exekutiven Funktionen...

    Ich habe das Gefühl, dass der Arzt beim Amt das gar nicht richtig gelesen hat: Der Antrag jetzt war ein Antrag auf Änderung.
    Mein Sohn hatte vorher auch schon einen Schwerbehindertenausweis GdB 70, Merkmal G und B.
    Der beruhte aber auf einer alten Diagnose, die falsch war. Da seine Krankheit so sehr selten ist, wurden zunächst etliche falsche Diagnosen gestellt, bis durch die humangenetische Diagnostik die richtige Diagnose herauskam.

    Der Arzt schreibt nun in der Begründung, warum er jetzt einen höheren GdB von 90 hat, das sich seine Krankheit "Morbus Little" verschlimmert hätte - Morbus Little aber ist die alte Diagnose, die FALSCH ist und das hatte ich in der Antragsstellung ja auch geschrieben und die neuen Arztberichte sowie meine Beschreibungen unseres Alltags wie oben beschrieben beigelegt.

    Ich glaube, dass er sich das alles gar nicht durchgelesen hat - einfach erhöht und weg ist's vom Tisch.