Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer
Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer

Die sexuelle Dienstleistung

Der Besuch eines Bordells – ein Erfahrungsbericht eines Mannes mit Behinderung.

Unter Umständen können die Kosten von Sozialämtern übernommen werden. | © Olia Danilevich / Pexels

100 Dollar Scheine liegen angereiht auf einer Fläche (Olia Danilevich / Pexels)

„Heidis Kuschelecke“ liegt in einer der weniger vornehmen Gegenden des Berliner Bezirks Charlottenburg. Die Kino-Bar in der Quedlinburger Straße ist eines der wenigen weitgehend barrierefreien Bordellen in der Hauptstadt, und dafür wird mit einem Rollstuhl-Symbol auf einer Tafel am Haus auch geworben. Zielstrebig steuert der stark spastisch gelähmte Martin mit Hilfe des Joysticks am E-Rolli auf den Eingang zu. Drinnen erwartet ihn ein spartanisch eingerichtetes Pornokino.

Mit den fünf oder sechs Platzanweiserinnen, die hier heute ihre Arbeit verrichten, kann man sich aber auch zum Kuscheln in bequemere Zimmer zurückziehen. „Als ich den Laden übernommen habe, waren Eingang, Klo und Räumlichkeiten bereits barrierefrei erreichbar“, berichtet Heidi Suhrbier, Inhaberin der Kuschelecke.

„Immerhin etwa zehn Prozent der Freier“, schätzt sie, „haben eine Behinderung, meist sind es Rollstuhlfahrer und Amputierte“. Lifte oder Haltegriffe gibt es zwar nicht, aber Frauen, die neu anfangen, werden von Heidi, deren Schwiegersohn vor 20 Jahren an Muskelschwund (Muskelatrophie) starb, über die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung aufgeklärt.

„Ich stelle es den Mädchen frei, ob sie mit Menschen mit Behinderung intim werden wollen.“ Für die meisten Frauen jedoch sind der sexuelle Kontakt ebenso wie Hilfestellungen beim Umsetzen aus dem Rollstuhl und beim Ausziehen kein Problem. Weil das alles wesentlich länger dauert, drückt man bei Stammkunden wie Martin schon mal ein Auge zu, wenn die vereinbarte und bezahlte Zeit überschritten wird. „Krankenschwestern oder barmherzige Samariterinnen sind wir jedoch nicht“, betont Heidi Suhrbier.

Die Initiative Sexybilities 

Martin ist in seiner Artikulationsfähigkeit stark eingeschränkt. Seinen ersten Besuch in der „Kuschelecke“ hat deshalb Matthias Vernaldi für ihn telefonisch angekündigt und vorbereitet. Der 44-Jährige hat vor drei Jahren in Berlin die Initiative „Sexybilities“ gegründet. Von seiner Ladenlokal-Wohnung in Neukölln aus berät er Menschen mit Behinderungen in Sexualfragen und vermittelt auch Kontakte zu Personen, die Sexarbeit anbieten. Matthias leidet selbst an Muskelschwund. Unterhalb des Kopfes kann er nichts mehr bewegen, nichts außer seinem Penis, denn der besteht aus gut durchbluteten Schwellkörpern, die allein durch ausschweifende Fantasien oder manuelle Stimulation auf Trab gebracht werden können.

Doch Selbstbefriedigung ist für Matthias schon seit langem technisch nicht mehr möglich. „Ich hatte moralische Skrupel, sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung zu akzeptieren und bin auch ein eher schüchterner Typ“, gesteht der aus Thüringen stammende Theologe, der wegen seiner Behinderung in der DDR nicht Pfarrer werden durfte. Aber das ist eine andere Geschichte. „Sicher hatte ich auch die Erfahrung verinnerlicht, dass du als Krüppel keine große Nummer auf dem Sexmarkt bist. Die erste Begegnung mit einer Prostituierten verlief entsprechend enttäuschend. Doch dann stieß er bei einer „Handentspannung“ für 15 Euro auf Julie*, die ihn seitdem regelmäßig zu Hause besucht.

Durch das Prostituiertenschutzgesetz und den Wegfall der Sittenwidrigkeit rückt auch eine andere Möglichkeit ins Blickfeld, die in Nachbarländern wie Dänemark oder den Niederlanden schon existiert: Sex auf Krankenschein. Die Zuständigkeit dürfte hierzulande allerdings eher bei den Sozialämtern liegen, weil die Heilmittel-Richtlinien „Maßnahmen, die ausschließlich der Anreizung, Verstärkung und Befriedigung des Sexualtriebs dienen sollen“, ausdrücklich nicht als Kassenleistung deklarieren.

Weil Sexualität als menschliches Grundbedürfnis anerkannt wird, haben aber bereits einige Sozialämter Kostenübernahmen für sexuelle Dienstleistungen bewilligt, allerdings nur dann, wenn die Antragstellenden alleinstehend waren und nachweisen konnten, dass sie nicht in der Lage sind, sexuelle Befriedigung auf anderem Wege zu erlangen. Für Matthias Vernaldi ist dieser Ansatz ein Irrweg und ein Rückschritt zugleich: „Sex vom Sozialamt würde in der öffentlichen Wahrnehmung den Blickwinkel auf Behinderte als Mängelwesen verstärken und die soeben überwunden geglaubte Therapeutisierung bis in die Intimsphäre hinein wieder ausweiten.“


Ist dieser Artikel lesenswert?

Fehler melden? Jetzt Melden.

Haben Sie eine Frage an die Community?